Tims langer Weg nach Deutschland (2)

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Tim, mittlerweile 9 Jahre alt, hat seine Mutter an König Alkohol verloren und bekommt seine Tante als Vormund. Kleines Problem: Tim lebt in Moskau und seine Tante lebt in einem deutschen Grenzdorf. Ein russisches Pflegekind darf ohne weiteres nicht mit ins Ausland gehen.

„Zunächst müssen Sie Ihr Haus in Deutschland besichtigen lassen”, sagt die Dame des Moskauer Jugendamts.

Oje, die Kacke ist am Dampfen. Wie bringt man die Deutschen in Bewegung? Meine bisherigen Erfahrungen waren nicht sehr ermutigend.

Am 12. Mai war meine Frau in Moskau eingetroffen. Sofort Alarm: Ihr Neffe Tim musste ins Kinderheim. Wir haben uns als Vormund angeboten. Per E-Mail habe ich beim Jugendamt Kreis Kleve nachgefragt, wie wir diese Sache in Deutschland anfassen könnten.

‘Ich bin außer Haus’, mailte der Roboter von Frau K. ‘Für Notfälle können Sie Frau H. kontaktieren.’

Ein Waisenhaus scheint mir ein Notfall zu sein. Frau H. war anderer Meinung: ‘Warten Sie aber ruhig, bis Frau K. aus dem Urlaub zurück ist.‘

Ende Juni. Frau K. kommt aus dem Urlaub zurück und antwortet per E-Mail: ‘Ich kann Ihnen bei Ihrer Frage nicht behilflich sein. Aber höchstwahrscheinlich kann Ihnen die Ausländerbehörde in Kleve weiterhelfen.’

Nein, Frau K., in Russland wird um eine Besichtigung unseres Hauses gebeten.

Frau K.: ‘Ich habe Ihnen die Daten der Kolleginnen die zuständig sind für Adoption gegeben. Die können Sie diesbezüglich am besten beraten.’

Nein, Frau K., es geht nicht um Adoption, wir sprechen hier über Vormundschaft.

Adoptionsvermittlungsstelle: ‘Wenn überhaupt, wäre die Kollegin vor Ort, Frau K. Ihre Ansprechpartnerin.’

So scheiterten meine erste Bemühungen, nur Informationen vom Jugendamt Kreis Kleve zu erhalten. Und jetzt würden sie plötzlich helfen?

„Bitte, einen Brief an unsere Kollegen in Deutschland”, sagte die Moskauer Jugendbetreuerin. Der Brief enthielt ein einfaches Ersuchen: Gerne die Lebensbedingungen vor Ort inspizieren und Ihren Bericht an den Vormund aushändigen.

„Ich komme Sie Dienstag besuchen”, sagt Frau K., nachdem sie Mitte August den Antrag erhalten hat. Ich muss es jedoch mit meiner Vortsitzende abstimmen.”

Drei Tage später, Telefon: „Meine Vorsitzende ist nicht einverstanden. Wir machen keine Geschäfte mit Ihnen, nur mit Kollegen. Moskau sollte ein direktes Amtshilfeersuchen an uns richten.”

Moment mal! Dieser Brief enthielt eine direkte Anfrage auf dem Moskauer Jugendamtsbriefpapier. Der Antrag wurde an die ‘zuständige Jugendfürsorgebehörde am Wohnort des beabsichtigten Vormunds’ gerichtet. Unterzeichnet von einem Moskauer Jugendamtsleiter.

Nicht gut genug, urteilte Frau K. nach dem Gespräch mit ihrer Vorsitzende. Zum ersten Mal in meinem Leben war mir ein Hemmnis, dass ich keine Brieftaube bin.

„Das Moskauer Jugendamt kann Ihnen das Ersuchen per E-Mail senden”, schlug ich vor.

„Nein, per E-Mail is nicht erlaubt, per Fax ist gestattet”, sagte Frau K.

Auf dem Moskauer Briefpapier gibt es eine Faxnummer. Leider ist jedoch das Fax kaputt, Geld für ein neues Gerät fehlt jetzt und in absehbarer Zeit, und für neues Briefpapier ohne Faxnummer gibt es auch kein Geld.

„Das Fax in Moskau ist kaputt. Ein solcher Antrag ist monatelang mit der russischen Post unterwegs. Ist es nicht möglich, eine andere Ausweg zu finden?”, fragte ich Frau K.

„Nein.”

„Kann ich einen Termin vereinbaren, um es Ihnen zu erklären?”

„Nein.”

Also dann einfach so. Ich übersetze die russische Anfrage ins Deutsche und maile sie nach Moskau. Dort verfasst das russische Jugendamt ein zweisprachiges Schreiben, das nicht an die ‘zuständige Behörde’ gerichtet ist, weil das deutsche Jugendamt sich geweigert hatte, sich damit zu identifizieren, sondern an Jugendamt Kreis Kleve. Meine Frau erhält den Brief und verschickt ihn umgehend per DHL zum Preis von 60 Euro. Dank Track & Trace weiß ich, dass der Brief am 29. August, einen Tag nach dem Versand beim Jugendamt ankommt. Anschließend ist derselbe Brief in dem Gedärm des Jugendamts für eine ganze Woche unterwegs zum Büro von Frau K.

Telefon. „Ich komme am Donnerstag zu Ihnen”, sagt Frau K., munter wie immer. „Ich habe auch eine Reihe von Fragen an Sie und Ihre Frau.”

„Meine Frau ist in Moskau. Ein Vormund kann nicht einfach sein Pflegekind verlassen.”

„Okay, aber ich brauche ein Führungszeugnis von Ihnen und Ihrer Frau.”

Was noch mal? „Kann ich bei der Gemeinde hier ein Führungszeugnis für meine Frau beantragen?”

„Ich weiß es nicht.”

„Das ist nicht möglich”, sagt die Gemeinde. „Das kann man nur für sich selbst tun. Möglicherweise per Post?”

Per Post aus Russland? Damit ist alles klar. Zuerst ist heraus zu finden wie man so etwas aus der Ferne beantragen kann. Was stellt sich heraus? Du ladest ein Formular herunter und lasst deine Unterschrift beim Deutschen Konsulat beglaubigen.

„Kann nicht”, sagt das deutsche Konsulat in Moskau. „Wir legalisieren nur für Deutsche.”

Also hat meine Frau ihre Unterschrift im niederländischen Konsulat in Moskau legalisiert. Aber wie das Formular zum Bundesjustizamt in Bonn zu schicken? Per E-Mail ist nicht erlaubt. Per Post ist erfolglos oder sauteuer. Not kennt kein Gebot. In Moskau scannt meine Frau den Antrag, per E-Mail landet eine Kopie in Deutschland auf dem Computer bei mir zu hause, ich drucke das Stück aus und lege es in einen Umschlag nach Bonn. Zwei Wochen später fällt das Führungszeugnis auf die Fußmatte. Die Welt will getäuscht werden.

Wochen vergehen nach dem Hausbesuch von Frau K. Tja, sie darf außerhalb ihrer Vorsitzende nichts tun, und es fällt ihr schwer, sie zu fassen. Beschäftigt, beschäftigt, beschäftigt. Ob ich weiß, wie groß die Kreis Kleve ist. Gefunden im Internet: 300.000 Einwohner. Die Region Moskau hat 20 Millionen Einwohner, und dort läuft es reibungslos.

Dann endlich grünes Licht: Am Donnerstag, 28. September, wird sie das Stück rausschicken.

„Wie?”

„Mit der Post.”

„Ich habe Ihnen so oft gesagt: Die Post nach Russland komt Monate zu spät. Oder nie. Schauen Sie hier. Da steht: Wenn man Ihnen sagt, dass etwa zehn Tage lang ein Poststück unterwegs ist, dann machen Sie einfach hundert davon. Können Sie es nach Moskau mailen?”

„Nicht erlaubt.”

„Kann ich eine Kopie erhalten?”

„Nicht erlaubt.”

„Können Sie es dann umgehend per DHL senden? Ich bezahle die Kosten.”

„Ich werde es meiner Vorsitzende vorschlagen.”

Das war Donnerstag. Am Dienstag teilt Frau K. mit, dass der Brief über die Deutsche Post verschickt wurde. Und so landet der Brief in der russischen Post.

Wer mit dem Jugendamt redet, kämpft mit Windmühlen. Jetzt sind zwei weitere Wochen vergangen. Wo ist der Brief, von dem das Schicksal des kleinen Tim abhängt? Wer es weiß, bekommt einen Elefanten.

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